MPI begrüßt neuen Max-Planck-Forschungsgruppenleiter Sidney Becker

Sidney Becker will die Evolution ankurbeln, um zu verstehen, wie sich das Leben aus reiner Chemie entwickelt hat
 

5. Januar 2022

Ab Januar 2022 wird Sidney Becker seine unabhängige Max-Planck-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Physiologie in Dortmund aufbauen. Seine Gruppe wird die Prinzipien der molekularen Evolution mit Hilfe chemischer und biochemischer Methoden untersuchen. Max-Planck-ForschungsgruppenleiterInnen werden vom Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft ernannt und genießen - ähnlich wie die Direktoren der Max-Planck-Institute - einen unabhängigen Status innerhalb des Instituts.
 

Sidney hat an der Universität Zürich in der Schweiz einen M.Sc. in Chemie und Wirtschaftswissenschaften erworben. Er promovierte in der Gruppe von Prof. Thomas Carell an der LMU München, wo er sich mit der Entstehung von RNA-Bausteinen auf der frühen Erde beschäftigte. Nach seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in München ging er als Postdoktorand nach Cambridge, wo er in der Gruppe von Sir Shankar Balasubramanian neue Konzepte für die Sequenzierung von DNA-Modifikationen entwickelte.

 

Worauf wird sich die Forschung in Ihrem Labor konzentrieren und was hat Sie zu diesem Forschungsgebiet geführt?

Unsere Gruppe verwendet chemische und biochemische Methoden, um die Prinzipien der molekularen Evolution zu untersuchen. Wir wollen besser verstehen, 1) wie funktionelle Nukleinsäuren entstehen, 2) wie sich einfache genetische Systeme zu größerer Komplexität entwickeln können und 3) welche strukturellen Anforderungen und Grenzen genetische Polymere haben. Meine Vision ist es, einen synthetischen Selbstreplikator zu kreieren, der zu einer unbeschränkten Evolution fähig ist. Dies könnte uns helfen zu verstehen, wie sich das Leben aus reiner Chemie entwickelt hat. Schon während meiner Doktorarbeit in der Gruppe von Thomas Carell war ich von der Entstehung des Lebens und deren Erforschung fasziniert. Ich entschloss jedoch das Fachgebiet zu wechseln, um während meines Postdoc-Studiums in der Gruppe um Shankar Balasubramanian die DNA-Sequenzierung kennen zu lernen. Ich glaube, dass mein Forschungsgebiet beide Aspekte wunderbar miteinander verbindet - die Beantwortung grundlegender wissenschaftlicher Fragen mit modernster Technologie.

Das erinnert mich an die so genannte Ursuppe. Werden Sie im Labor weiterhin selbst Suppen kochen?

Als Doktorand habe ich versucht, die "Ursuppe" zu simulieren, und wir haben erfolgreich gezeigt, wie alle vier Buchstaben des genetischen Alphabets aus einfachen Molekülen entstanden sein könnten. Unsere Forschung setzt nun einen Schritt später an. Wir gehen also davon aus, dass die Ursuppe in der Lage war, eine Art genetisches Material zu erzeugen. Wir untersuchen, was passiert danach - wie können wir die Evolution in Gang setzen? Nukleinsäuren allein machen noch kein genetisches System aus. Nur in Verbindung mit einem Replikationsmechanismus, bei dem Informationen übertragen werden können, kann die Evolution stattfinden. Auch wenn Proteine ebenfalls Sequenzinformationen enthalten, würde sie niemand als Erbgut betrachten. Das ist auch Teil des zentralen Dogmas der Molekularbiologie, das besagt, dass Informationen von Nukleinsäuren auf Proteine übertragen werden können, aber man kann die ursprüngliche Nukleinsäuresequenz nicht aus der Proteinsequenz rekonstruieren.

Warum haben Sie sich entschieden, Ihre Gruppe am MPI Dortmund aufzubauen?

Ich bin ausgebildeter organischer Chemiker mit Spezialisierung im Bereich der Chemischen Biologie, die am MPI in Dortmund stark vertreten ist. Ich glaube, dass Dortmund die beste Mischung bietet, um meine Forschung voranzutreiben: Einerseits bekomme ich eine exzellente Infrastruktur für Chemie und strukturelle Biochemie, andererseits ist die Forschung zur Entstehung des Lebens am Institut stark vertreten. Mehrere Gruppen sind bereits Teil der Matter to Life Max Planck School. Das MPI Dortmund bietet auch eine deutlich größere Sichtbarkeit im Vergleich zu anderen großen Instituten. Abschliessend muss ich sagen, dass ich überrascht war als ich zum ersten Mal in Dortmund ankam - es ist eine sehr grüne Stadt mit tollen Lebensbedingungen.

Was wollen Sie mit Ihrer Forschung erreichen und wie wird sie sich auf Wissenschaft und Gesellschaft auswirken?

Trotz vieler Fortschritte auf dem Gebiet der synthetischen Biologie ist es bisher nicht gelungen, den grundlegendsten Aspekt des Lebens, nämlich die darwinistische Selbstreplikation, im Labor nachzubilden. Dies wäre ein wissenschaftlicher Meilenstein und hätte weitreichende Auswirkungen auf die Suche nach nicht-irdischer lebender Materie, synthetischem Leben oder dem Ursprung des Lebens. Mögliche Anwendungen unserer Forschung sind die Entwicklung innovativer molekularer Werkzeuge für diagnostische oder therapeutische Anwendungen. Während der Pandemie hat jeder das Potenzial von Impfstoffen auf Nukleinsäurebasis (mRNA) erkannt. Betrachtet man jedoch die umsatzstärksten Medikamente ("Blockbuster"), so handelt es sich meist um Proteine oder kleine Moleküle, aber keine Nukleinsäuren. Ich glaube, das wird sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren ändern, und ich hoffe, dass wir zu dieser Entwicklung beitragen werden.

Wie entspannen Sie sich nach einem harten Arbeitstag?

Es fällt mir sehr schwer abzuschalten, weil ich oft über wissenschaftliche Probleme nachdenke. Am besten gelingt mir das beim Kochen, wo ich mit verschiedenen Geschmacksrichtungen experimentieren kann. Aber Kochen braucht Zeit, deshalb mache ich es nicht jeden Tag. Ich spiele aber auch sehr gerne Basketball und hoffe, dass Dortmund einige gute Möglichkeiten bietet, sich einem Team anzuschließen.

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