Methoden zur Kombinatorischen Festphasensynthese von Verbindungsbibliotheken

Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie

Autoren
Breinbauer, Rolf; Gonthier, Elisabeth; Nad, Sukanya; Köhn, Maja; Niemeyer, Christof; Peters, Carsten; Waldmann, Herbert
Abteilungen
Chemische Biologie (Prof. Dr. Herbert Waldmann)
MPI für molekulare Physiologie, Dortmund
Zusammenfassung
Mit der Organischen Synthese an der festen Phase (SPOS) ist es nun möglich, in kurzer Zeit viele unterschiedliche Moleküle herzustellen, die als potenzielle Liganden in biologischen Testsystemen untersucht werden können. Den Wissenschaftlern um Rolf Breinbauer ist es gelungen, erstmals elektroorganische Reaktionen an der festen Phase durchzuführen und damit einen neuen Reaktionstyp für die SPOS zugänglich zu machen. Darüber hinaus etablierten die Forscher am MPI in Dortmund einen neuen Weg zur Herstellung von Wirkstoffarrays, die für das biologische Hochdurchsatz-Screening geeignet sind.

Die rasanten Entwicklungen in der Biochemie und der Molekularbiologie haben unsere Erkenntnisse über Aufbau und Funktion der Zelle vervielfacht. Dieses neu gewonnene Verständnis eröffnet neue Möglichkeiten, mit "kleinen Molekülen" als Wirkstoffen in das komplexe Geschehen einer Zelle einzugreifen und krankheitsverursachenden Fehlsteuerungen entgegenzuwirken oder sie zu korrigieren. Im Idealfall sollte es möglich sein, für jedes der mehr als 100.000 Proteine des menschlichen Proteoms jeweils ein Molekül zu finden, das die Funktion eines spezifischen Proteins an- beziehungsweise abschaltet. Dieses ehrgeizige Ziel erfordert die Entwicklung neuartiger Methoden für die Organische Synthese, um deren Produktivität und Effizienz den Herausforderungen des Hochdurchsatz-Screenings anzupassen. Die Organische Festphasensynthese (SPOS) hat sich dabei als ein wichtiges Werkzeug für die Synthese großer Substanzbibliotheken etabliert. Dabei werden chemische Verbindungen zunächst auf festen Polymerkügelchen angebunden, was die daran anschließende Manipulation dieser Verbindungen in verschiedenen Reaktionsschritten wesentlich erleichtert. Die dabei erhaltenen Reaktionsprodukte können nach Abspaltung vom polymeren Träger auf ihre biologische Wirkung untersucht werden.

Biologisch relevante Verbindungen zeichnen sich durch eine hohe strukturelle und funktionelle Verschiedenartigkeit und Komplexität aus. Damit solche Leitstrukturen auch an der festen Phase hergestellt werden können, muss es Ziel sein, das hohe Niveau und die Flexibilität der "Organischen Synthese in Lösung" trotz der veränderten Bedingungen und der ihr eigenen Limitierungen in der SPOS zu implementieren. In den letzten zehn Jahren ist es gelungen, fast alle in Lösung bekannten Reaktionen auf die feste Phase zu übertragen. Eine Ausnahme stellen elektroorganische Synthesen dar, die als nützliches Werkzeug der Organischen Synthese bekannt sind und sogar im industriellen Maßstab durchgeführt werden. Obwohl erst kürzlich über die Parallelisierung von elektrochemischen Reaktionen in der Flüssigphase berichtet worden ist, sowie elektroorganische Reaktionen bereits mit Substraten, die auf entsprechend modifizierten Elektroden angeknüpft waren, durchgeführt worden sind, gab es noch keine elektroorganischen Reaktionen mit herkömmlichen Polymerkügelchen als Trägermaterial. Erst dies würde es aber erlauben, elektrochemische Reaktionen in das wachsende Repertoire der organischen Reaktionen, die für die Bibliothekssynthese eingesetzt werden, aufzunehmen. Diese Reaktionen zeichnen sich gegenüber konventionellen Methoden durch die Vorteile der komplementären Reaktivität und milden Reaktionsbedingungen aus.

Elektroorganische Synthese an der festen Phase

Bedenkt man, dass bei den meisten der in der SPOS eingesetzten Harze mehr als 95 % der Substratmoleküle im Inneren der Polymerkügelchen verborgen sind, ist es offensichtlich, dass ein direkter Elektronentransfer zwischen Elektrode und Substratmolekül nicht möglich ist. Verwendet man jedoch einen Redoxkatalysator als Mediator, ist es möglich, den Elektronentransferschritt an der Elektrode und die Redoxreaktion mit dem Substrat voneinander zu trennen (Abb. 1). Das Prinzip der ,indirekten Elektrolyse’ hat schon vielfältig in der elektroorganischen Synthese in Lösung Anwendung gefunden, wobei sich deutliche experimentelle Vorteile gegenüber dem direkten Elektrodenkontakt gezeigt haben, wie zum Beispiel reduzierte Überspannungen oder höhere Selektivitäten. Rolf Breinbauer und seinen Kollegen ist es gelungen, dieses Prinzip für die SPOS zu adaptieren und auf die elektrochemische 2,5-Dimethoxylierung von Furanen anzuwenden. Dieser durch Bromid-Ionen eingeleitete Elektrolyseprozess hat sich in der organischen Synthese bewährt und wird sogar im industriellen Maßstab durchgeführt. Die dabei erhaltenen Produkte fungieren als vielseitige Ausgangsprodukte für nachgeschaltete Modifikationen und erlauben den Aufbau einer Verbindungsbibliothek. Mit dem neuen Verfahren aus Dortmund ist es nun möglich, elektroorganische Reaktionen in mehrstufigen Synthesesequenzen in der SPOS zu integrieren. Dieses Prinzip sollte sich auf eine Vielzahl von Anwendungen, wie beispielsweise auf elektrochemisch spaltbare Linker anwenden lassen.

Herstellung von Wirkstoffarrays

In einem weiteren Projekt, das in Kooperation mit einer Reihe von Arbeitsgruppen vorangetrieben wurde, haben die Forscher sich der Weiterentwicklung von Wirkstoffarrays zugewandt, die erst in den letzten Jahren als ein neuartiges Werkzeug für die Durchführung von Hochdurchsatz-Versuchen in der biologischen Forschung vorgestellt worden sind. Die fast schon zur Routine gewordene Anwendung von DNA-Chips und Protein-Arrays hat die Entwicklung dieser neuen Technik gefördert, da damit nicht nur der Vorteil der räumlichen Adressierbarkeit der Sondenmoleküle, sondern auch das Auskommen mit winzigen Mengen an Analysenprobe erreicht werden kann. Parallel bietet dieses Prinzip aufgrund seiner mikrostrukturierten Miniaturisierung auch die einzigartige Möglichkeit, mit den winzigen, bei der Abspaltung von einem einzelnen Polymerkügelchen erhaltenen Mengen an chemischer Substanz mehrere biologische Tests gleichzeitig durchzuführen. Um die notwendige Weiterentwicklung von Wirkstoffarrays vorantreiben zu können, bedarf es neuer Methoden, die unter milden Bedingungen die chemoselektive Anknüpfung von organischen Verbindungen an eine Oberfläche ermöglichen. Dafür sind Reaktionstypen erforderlich, die sich in ihrer Reaktivität komplementär zu der Vielfalt an funktionellen Gruppen, wie sie für biologisch relevante Substanzklassen typisch sind, verhalten. Bis jetzt wurde nur eine beschränkte Zahl von Reaktionen für die Anknüpfung von Wirkstoffmolekülen an entsprechend funktionalisierte Glasoberflächen herangezogen. Dabei verwendeten die Wissenschaftler meist funktionelle Gruppen, die oftmals auch für die biologische Wirkung der zu untersuchenden Moleküle verantworlich sind, wie zum Beispiel -NH2, -OH, -SH, or -COOH. Ziel war es, eine neue Kupplungsstrategie zu entwickeln, die folgenden Design-Kriterien gerecht werden sollte: Verwendung einer funktionellen Gruppe mit einzigartiger Reaktivität, die (i) ein möglichst diverses Repertoire an anderen Funktionalitäten toleriert, (ii) unter milden Reaktionsbedingungen an Luft und in Gegenwart von Wasser reagiert, und (iii) mit den sehr effizienten Methoden der kombinatorischen Festphasensynthese kompatibel ist. Im Idealfall ließe sich diese funktionelle Gruppe bei der Synthese der zu immobilisierenden Substanzbibliotheken im Abspaltungsschritt vom Harz einfügen. Dadurch würde der Einsatz von zusätzlichen, aktivierenden Reagenzien für den Verknüpfungsschritt obsolet werden. Die Forscher haben die Azid-Gruppe als eine für ihre Zwecke nahezu ideale Funktionalität erkannt, da Azide - trotz der ihnen eigenen hohen Reaktivität - die chemoselektive Ligation mit einer sehr begrenzten Gruppe an Reaktionspartnern ermöglichen. Die so genannte Staudinger-Ligation ist eine hochchemoselektive Kupplungs-Reaktion zwischen Aziden und entsprechend substitutierten Phosphinen, bei der eine thermodynamisch stabile Amidbindung geknüpft wird.

Es wurde ein Verfahren entwicklelt, nach dem Azid-funktionalisierte Wirkstoffmoleküle mit Hilfe der Organischen Festphasensynthese (SPOS) hergestellt und kovalent an Glasoberflächen angeknüpft werden können (Abb. 2). Mithilfe eines so genannten Safety-Catch-Linkers ist es möglich, die Azid-Gruppe erst bei der Abspaltung vom Harz in die Substanzbibliothek einzuführen. Die aktivierten Bibliotheksverbindungen, die aus dem immobilisierten Sulfonamid A nach N-Alkylierung und anschließender Behandlung mit einem Azid-substituierten Amin gebildet wurden, können mithilfe der Staudinger-Ligation selektiv auf Glasoberflächen, die über kovalent angeknüpfte Phosphingruppen verfügen, immobilisiert werden. Die nun auf der Oberfläche angeordneten Moleküle sind in der Lage, Bindungsreaktionen mit Liganden einzugehen, zum Beispiel mit fluoreszenzmarkierten Proteinen. So ermöglicht dieser Ansatz eine neuartige und effiziente Strategie zur Herstellung von Wirkstoffarrays von Verbindungen, die mithilfe der Kombinatorischen Chemie generiert wurden.

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