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Ich bin frei von Berührungsängsten“

Herr Professor Waldmann, Sie sind Chemiker, forschen aber an biologischen und medizinischen Themen. Sie haben sich nach Ihrer Habilitation bewusst gegen eine Karriere in der Industrie entschieden, arbeiten aber seit langem intensiv mit Pharma- und Chemie-Unternehmen zusammen. Ist das nicht beides widersprüchlich?

Auf den ersten Blick mag das so wirken. Und wahrscheinlich gibt es bis heute einige Wissenschaftler, die das so empfinden. Vor mehreren Jahren war es für etliche Kollegen in der Chemie sogar undenkbar, mit der eigenen Forschung in andere Fachbereiche vorzustoßen. Zum Glück hat sich die Denkweise inzwischen gewandelt.


Woran haben sich diese Vorbehalte gezeigt?

Zum Beispiel an den Kommentaren, die ich von Kollegen aus dem Bereich der Chemie hörte, als ich 1999 vor der Entscheidung stand, das Institut für Organische Chemie der Universität Karlsruhe zu verlassen, um an das Max-Planck-Institut für Molekulare Physiologie in Dortmund zu wechseln. Einige haben mich damals allen Ernstes gefragt: Willst Du Dich zum Sklaven der Biologen machen?


Wie ist das zu erklären?

Dahinter steckte wohl die Vorstellung oder auch die Sorge, dass man als Chemiker in einer Kooperation mit Biologen quasi zum Dienstleister oder Handlanger wird, der für andere nur noch bestimmte Synthesen und Analysen durchführt und damit wissenschaftlich ins Abseits gerät. Ähnliche Befürchtungen gibt es auch gegenüber gemeinsamen Forschungsprojekten mit Arzneimittelfirmen. Dabei können von solchen Kooperationen alle profitieren.


Inwiefern?

Natürlich muss man als Chemiker darauf achten, dass man in interdisziplinären Projekten auch als solcher erkennbar ist und bleibt. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es extrem inspirierend ist, nicht nur unter seinesgleichen, sondern unter den anderen, also Biologen, Biochemikern, Biophysikern zu leben und so ganz neue Impulse zu erhalten.


Trotzdem macht es doch einen Unterschied, ob man mit anderen Grundlagenforschern zusammen arbeitet oder mit der Industrie.


Das stimmt. Wissenschaftler, die bei einem Pharma- oder Chemie-Unternehmen arbeiten, sind ganz anderen Anforderungen und Zwängen ausgesetzt. Die stehen zum Teil unter massivem Druck, weil sie innerhalb kurzer Zeit Ergebnisse liefern müssen und innerhalb komplexer Hierarchien arbeiten. Aber ich kann mich leicht auf Menschen einstellen und bin frei von Berührungsängsten. Dadurch habe ich mit der Zeit gelernt, diese Forscher zu schätzen und zu akzeptieren, dass sie mit ihren eigenen Notwendigkeiten leben müssen. Natürlich muss man bei solchen Kooperationen darauf achten, dass die Grundresonanz stimmt.


Was meinen Sie mit „Grundresonanz“?

Zunächst einmal muss das treibende Element immer das gemeinsame wissenschaftliche Interesse sein. Sobald man eine Kooperation mit der Industrie auf Geld reduziert, funktioniert das Zusammenspiel nicht. Unsere Projekte mit Pharmafirmen sind ja keine Auftragsarbeiten, die – wie etwa im Fall von klinischen Studien zur Erprobung neuer Arzneimittel an Patienten – von den jeweiligen Arzneimittelherstellern allein konzipiert und finanziert werden. Bei uns geht es um die gemeinsame Suche nach Wirkstoffkandidaten und neuen wissenschaftlichen Prinzipien, mit denen man gezielt in Krankheitsprozesse eingreifen möchte. Genauso wichtig ist aber noch etwas anderes: klare Regeln. Die muss man gleich am Anfang richtig aufsetzen und festlegen.


Welche Regeln sind das?

Wichtig ist zum Beispiel festzulegen, wer wann welche Ergebnisse publizieren darf. Pharma-Unternehmen möchten wichtige Resultate in Regel gerne so lange wie möglich unter Verschluss halten. Grundlagenforscher dagegen wollen schnell veröffentlichen. Wir machen meist zur Bedingung, dass wir neue Ergebnisse innerhalb von vier Monaten publizieren können. Das Entscheidende bei jeder Kooperation ist aber, dass man mit den handelnden Personen Vertrauen aufbaut. Ohne das geht es nicht.


Haben Sie schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht?

Ja, natürlich. Das bleibt auf die Dauer nicht aus. Schließlich gibt es überall ehrliche und unehrliche Menschen. Aber zum einen lernt man mit der Zeit, sich gegen unfaire Tricks zu wappnen. Zum anderem gehen schlechte Kooperationen auch ganz schnell zu Ende. Wer sich nicht an die Spielregeln hält, mit dem arbeitet man einfach nie wieder zusammen. Unterm Strich hat sich die Kooperation mit der Industrie für mich sehr bewährt. Nicht zuletzt verdanke ich einem Pharma-Unternehmen, dass ich die Weichen für meine Forschung zum richtigen Zeitpunkt in Richtung Biologie gestellt habe.


Wie kam das?

Nach meiner Habilitation war ich auf der Suche nach einem neuen spannenden Thema. Eines Tages fragte mich dann eine Firma, ob ich nicht mit ihr zusammenarbeiten könne, um gezielt Moleküle zu synthetisieren, mit denen man das Protein Ras beeinflussen und vielleicht sogar ausschalten kann. Das Thema war damals ganz neu und heiß. Ras war wenige Jahre zuvor als erstes Onkogen des Menschen entdeckt worden. Eine Entdeckung, die bahnbrechend für die Krebsforschung war, weil sie das Verständnis der Ursachen der Krebsentstehung grundlegend verändert hat. Und dann passierte etwas, das ich bis heute liebe: Wenn ich auf ein neues Thema stoße, das mich interessiert, tauche ich mit einer fast kindlichen Neugier in das Thema ein, und lese so lange, bis ich alles weiß, was ich wissen will. Da gibt es immer wieder Momente, wo ich denke: Boah! Was es da nicht alles gibt. In diesem Fall war es aber noch mehr. Ich stellte fest: Donnerkeil - da ist noch keiner in der Chemie drin. So bin ich auf Alfred Wittinghofer gestoßen, der zu den Pionieren der Ras-Forschung gehört und schon damals hier am Institut tätig war. Und mir kam die Idee, mit ihm zu kooperieren. Das Problem war nur: So eine Idee war sehr ungewöhnlich, wenn man in dem Fachgebiet nicht auch selbst tätig war.


Wie haben Sie dieses Problem gelöst?

Ich hab mir einfach gedacht: Frag ihn. Trau Dich! Und er willigte ein. Als der erste Erfolg kam dachte ich, ich kann fliegen. Das war ganz großes Kino. Auf einmal tat sich vor mir ein riesiges neues Feld auf, das es zu erobern galt. Später ging daraus eine der bis heute spannendsten Entdeckungen hervor, an der wir beteiligt waren: die Entschlüsselung der Regulierung des dynamischen Ras-Zyklus, originär erdacht von Philippe Bastiaens und dann in enger Kooperation entschlüsselt mit ihm und Alfred Wittinghofer, die den Höhepunkt eines 20 Jahre dauernden Forschungsprogramms zu Ras-Proteinen darstellte. 

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